Offener Brief an die Bundesregierung und den Bundestag

München, 14. Mai 2013 Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Sehr geehrte Frau Bundesministerin Ilse Aigner, Sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestages, mit großer Sorge beobachten wir, dass immer weitere Patente auf Pflanzen aus konventioneller Zucht erteilt werden - obwohl zwei Millionen Menschen per Unterschrift gegen Patente auf konventionelle Züchtung protestiert und sich sowohl das Europäische Parlament als auch der Deutsche Bundestag für einen Stopp derartiger Patente ausgesprochen haben. Sogar ein Präzedenzfall, der Patente auf Tomaten und Brokkoli betrifft, ist vom Europäischen Patentamt (EPA) immer noch nicht entschieden. Trotzdem wurde jüngst ein Patent auf Chili-Pflanzen für den Konzern Syngenta erteilt (EP2140023). Im Patent werden die Pflanzen, das Saatgut, die Früchte und sogar Wachstum und Ernte als Erfindung beansprucht. Die Unterzeichner fordern Sie auf, jetzt tätig zu werden und der derzeitigen Praxis des EPA ein Ende zu setzen. Hierzu ist jetzt das deutsche Patentgesetz entsprechend klar zu regeln. Auf der Ebene der Mitgliedsländer des EPA sollte eine Initiative gestartet werden, um die Ausführungsordnung des EPA zu ändern. Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen dem Wortlaut des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) und seiner Auslegung. Während beispielsweise das EPÜ die Patentierung von Pflanzensorten oder Tierrassen verbietet, erteilt das EPA regelmäßig Patente, die sich genau darauf erstrecken. Der Verwaltungsrat des EPA, in dem die Repräsentanten der Mitgliedsländer sitzen, könnte die Auslegung der Gesetze ändern und auf diese Weise wirksame Maßnahmen gegen die Aushöhlung der bestehenden Verbote ergreifen. Derartige Änderungen können auch im deutschen Patentgesetz vorgenommen werden. Es bietet sich an, dies im laufenden Verfahren der Novelle des deutschen Patentgesetzes zu berücksichtigen1. Mit Befremden haben wir eine Stellungnahme aus dem Bundesministerium für Justiz zur Kenntnis genommen, in dem auf eine Anfrage einer Bundestagsabgeordneten der Linken geantwortet wird, dass es hier keinen Auslegungsspielraum gebe2. Dass diese Einschätzung nicht korrekt sein kann, ergibt sich aus dem seit 2007 anhängigen Verfahren beim Europäischen Patentamt, bei dem es um genau diese Auslegung der Verbote der Patentierung geht. Zudem zeigt auch das Votum des Europäischen Parlaments vom Mai 2012 erheblichen Gestaltungsspielraum. Demnach fordert das Europäische Parlament „das EPA ebenfalls auf, alle Erzeugnisse aus konventioneller Zucht und alle herkömmlichen Zuchtverfahren von der Patentierbarkeit auszuschließen, auch die Präzisionszucht (SMART Breeding) und Zuchtmaterial, das bei der konventionellen Zucht eingesetzt wird.“ Diese Auslegung des derzeitigen Patentrechtes ist besonders gewichtig, weil das Europäische Parlament die Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen verabschiedet hat, welche die Basis für die derzeitige Rechtsprechung am EPA für den Bereich Biotechnologie ist. Nach dem Votum des EU-Parlamentes wird diese Richtlinie vom Europäischen Patentamt nicht korrekt ausgelegt. Die Auslegung sollte deswegen korrigiert werden – wie dies auch der Deutsche Bundestag gefordert hat (Drs. 17/8344)3. Wir haben vor diesem Hintergrund einen konkreten Vorschlag entwickelt, wie die nationale Gesetzgebung und die Ausführungsordnung geändert werden könnten, ohne in Konflikt mit dem Europäischen Patentrecht oder anderen internationalen Verträgen zu geraten (siehe Anhang). Wir fordern Sie auf, das deutsche Patentgesetz jetzt entsprechend zu ändern und eine Initiative auf der Ebene der Mitgliedsländer des EPA zu starten, um die Ausführungsordnung des EPA anzupassen. Insbesondere sollten dabei folgende Ziele erreicht werden: Ausschluss der Umgehung bestehender Verbote Verbot der Patentierung von Verfahren und Produkten der konventionellen Züchtung Klarstellung, dass landwirtschaftliche Nutztiere nicht patentiert werden können. Wenn es hier nicht gelingt, die Patentierung zu stoppen, steht zu befürchten, dass durch die Patente die Marktkonzentration in Tier- und Pflanzenzucht weiter vorangetrieben wird und die Grundlagen der Ernährung in die weitgehende Abhängigkeit von einigen wenigen internationalen Konzernen geraten. Deswegen fordern wir, Patente auf Pflanzen und Tiere vollständig zu verbieten. Mit freundlichen Grüßen, Dr. Ruth Tippe Dr. Christoph Then Dieses Schreiben wird unterstützt von: Koalition „Keine Patente auf Saatgut!“ (u.a. Greenpeace, Kein Patent auf Leben!, Misereor), Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), AGU - Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten in der Evangelischen Kirche in Deutschland, Assoziation biologisch-dynamischer Pflanzenzüchter, Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (BESH), Bioland, Bundesverband Deutscher Milchviehalter (BDM), Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND, Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) e.V., Demeter e.V., Gäa e.V. Vereinigung ökologischer Landbau – Bundesverband, Gen-ethisches Netzwerk, Gesellschaft für ökologische Forschung, IG Nachbau, IG Saatgut, Naturschutzbund Deutschland (NABU), Sambucus, Save our Seeds (SOS), Umweltinstitut München, Verband Katholisches Landvolk, Verbund Ökohöfe e.V., Zivilcourage Rosenheim und Zukunftsstiftung Landwirtschaft (ZSL). Kontakt: Dr. Ruth Tippe, Dr. Christoph Then, „Keine Patente auf Saatgut!“, info@no-patents-on-seeds.org, www.no-patents-on-seeds.org, Tel 015154638040; Postadresse: Frohschammerstr. 14, 80807 München Anhang: Vorschlag zur Änderung der Patentgesetze Weitere Informationen: Aktueller Report von „Keine Patente auf Saatgut!“: http://www.no-patents-on-seeds.org/de/information/hintergrund/gruenes-l… Die Resolution des Europäischen Parlaments: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-… Der Aufruf von Avaaz: http://avaaz.org/en/monsanto_vs_mother_earth_loc/